Zivilcourage und Pinkeln

JuliBayerisch2

Neulich war ich mit meinem Sohn auf dem Bayerischen Platz. Wir hatten uns ein Eis gekauft und schlenderten über die Wiese. Ich sagte zu ihm: Ich setz mich da drüben hin. Mein Sohn nickte mir zu. Ich ging über die Wiese und setzte mich auf eine Parkbank, von der aus ich ihn gut beobachten konnte. Er schlenderte am Brunnen entlang.

Ich mag es, wenn mein kleiner Sohn sich alleine durch den Raum bewegt und wir beide wissen, dass wir noch Kontakt haben. Er testet oft das Sichentfernen und das Zurückkommen. Er ist jetzt zweieinhalb Jahre alt.

Zwei junge Frauen sprachen meinen Sohn an und gingen anschließend an mir vorbei, fragend, ob ich zu dem süssen Kleinen gehören würde. Ich dachte: Wie nett.

Ich sah dann, wie ein Mann mittleren Alters zu meinem Jungen ging. Der Mann war komplett in beige gekleidet, trug eine Sonnenbrille und hatte einen schwarzen Hund dabei. Er setzte sich zu meinem Sohn auf den Brunnenrand und sprach ihn an. Mein Sohn zeigte mehrmals in meine Richtung. Ich dachte: Jetzt hat er auch diesem Mann verständlich gemacht, dass hier sein Papa sitzt.

Doch der Mann nahm meinen Jungen bei der Hand und kam mit ihm auf mich zu. Nein, er ging nicht auf mich zu, sondern er wollte schräg an mir vorbei. Wahrscheinlich um zu testen, ob ich reagieren würde. Ich reagierte:

Was soll das werden?

Die Mutter dieses Kindes ist nicht da.

Ich bin der Vater.

Ich will mich nicht in ihre Familienangelegenheiten mischen.

Das tun Sie aber gerade.

Das ist Zivilcourage. Seien Sie doch froh!

Mein Junge schmiegte sich an meine Knie und der Mann ging mit seinem Hund weg. Ich dachte: Habe ich mich vielleicht zu weit von meinem Kind entfernt? Eine Distanz, für mich und das Kind okay, aber nicht für die Öffentlichkeit, nicht für die wachsamen Mitbürger? Muss ich näher dran bleiben, um ein korrekteres Vater-Sohn-Bild abzugeben? Vielleicht.

Der beige Mann hatte von Zivilcourage gesprochen. Ich finde Zivilcourage gut. Es gibt viel zu wenig davon, das ist klar. Neulich pinkelte ein Mann im U-Bahnhof Berliner Strasse in eine Ecke. Ich hatte meinen älteren Sohn dabei. Ich sprach den Mann mit lauter und kräftiger Stimme an und äußerte meinen Unwillen darüber, dass er im U-Bahnhof urinierte. Ich dachte, das wäre generell gut, so zu reagieren, aber auch meinem Sohn gegenüber, damit er etwas über Zivilcourage und Pinkeln lernt.

Zurück zum Bayerischen Platz. Während ich mit meinem Sohn auf der Bank saß und wir uns unterhielten, beobachtete ich den beigen Mann mit dem schwarzen Hund. Er stand am anderen Ende der Wiese und pinkelte plötzlich neben eine Parkbank. Am hellichten Tag. Vor allen Leuten. Er, das moralische Vorbild.

Ich wäre am liebsten hingegangen zu ihm (mit sowas habe ich ja Erfahrung) und hätte mit lauter und kräftiger Stimme meinen Unwillen geäußert. Ich tat es nicht. Ich dachte: Retourkutsche ist doof. Macht man nicht.

Als wir nach Hause gingen, war ich dennoch irgendwie unzufrieden.

 

2 Gedanken zu „Zivilcourage und Pinkeln

  1. Bekomme merkwürdige Gedanken dabei. Wenn eines meiner Kinder im Alter von zwei und einem halben Jahr von einem wildfremden Mann an die Hand genommen worden wäre… und auf Nachfrage wird die Moral, die Zivilcourage vorgeschoben?
    Hast Du nicht auch ganz was anderes dabei gedacht?

    1. Natürlich habe ich das. Innerlich war ich in Alarmbereitschaft. Aber ich hatte die Situation so gut im Blick, dass ich ruhig bleiben konnte. Und der Mann hat mein Mißtrauen gespürt. Deshalb hat er sich auch so moralisch gerechtfertigt. Was er wirklich wollte bleibt unklar. Was mich aber beschäftigte war die Frage, ob ich eigentlich Verantwortung trage für die Wahrnehmung anderer. Immerhin hatten die zwei jungen Frauen sich ja auch über das einsame Kind gewundert.

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