Was hat Musik mit Rassismus zu tun?

Neulich wurde ich von einem fremden Mann als Rassist bezeichnet. Wie kam es dazu?
Ich war mit meinem vierjährigen Sohn im Bode-Museum gewesen. Mit der S-Bahn fuhren wir von der Friedrichstraße zum Bahnhof Zoo. Während der Fahrt stieg ein Mann mit einem Lautsprecher und einer Klarinette ein. Ich sagte zu ihm: Bitte jetzt hier keine Musik! Er verdrehte die Augen, ging ein paar Meter weiter und begann trotzdem zu spielen. Ich schaute ihn böse an. Er schaute mich böse an. Dann ging er mit seinem Becher herum, aber niemand gab ihm Geld.

Die Berliner S-Bahn fährt und fährt – mit Musik und Rassismusvorwürfen

Ich mag die S-Bahn-Musiker nicht. Nicht weil sie schlecht spielen, manche spielen sogar ganz gut. Aber sie betreten den geschlossenen Raum, in dem ich mich befinde, und zwinge mich ihre Musik zu hören auch wenn ich das gerade nicht will. Ich kann nicht mehr lesen, kann meine Musik in meinem eigenen Kopfhörer nicht hören, Gespräche mit meinen Liebsten müssen warten bis der Musiker wieder aufhört. Ich habe schon einmal Kontakt mit der deutschen Bahn aufgenommen. Mann antwortete mir, das Musizieren in der S-Bahn sei nicht gestattet und die S-Bahn-Musiker seien ein bekanntes Problem, gegen das man aber leider nichts tun könne. Wenn man sie verjagt, sind sie sehr schnell wieder da. Es sind organisierte Gruppen, die sehr genau wissen, was sie tun. Und die Berlin-Touristen geben ihnen Geld, weil sie sie für etwas authentisches Berlinerisches halten. Während der S-Bahn-Fahrt erblickt man die Goldelse und jemand vom Balkan spielt Besame Mucho dazu. Das ist Berlin!

Als wir am Bahnhof Zoo ausstiegen, ging der Mann mit seinem Roll-Lautsprecher an uns vorbei. Seine Klarinette hielt er unter seiner Jacke versteckt. Er wandte sich mir zu und sagte in gebrochenem Deutsch: „Warum du mir sagst keine Musik in S-Bahn? Du bist Rassist!“ Ich war so perplex dass ich erst mal nichts antworten konnte. Ich dachte nur: Was hat Musik mit Rassismus zu tun?

Mit meinem Sohn an der Hand ging ich nachdenklich weiter. Da sah ich den Musiker auf einer Bank sitzen und steuerte auf ihn zu. Ich sagte zu ihm: „Ich will in der S-Bahn keine Musik hören. Übrigens ist das sogar verboten. Aber was noch viel wichtiger ist: Ich bin deshalb kein Rassist. Klar?“

Dann fuhren wir die Rolltreppe runter. Plötzlich tauchte der Mann wieder neben mir auf. Er überholte mich und zischte mir wieder zu: „Du bist Rassist!“

Auf dem Bahnhof Zoo war es sehr geschäftig und so verlor ich den Mann aus den Augen. Aber draußen vor dem Eingang wartete er mit einer Zigarette in der Hand auf uns. Wir kamen wieder ins Gespräch. Er wiederholte seine Haltung, ich wiederholte meine. Ich sagte: „Wenn ich ein Konzert hören will, kaufe ich mir eine Konzertkarte. Ich habe aber eine Fahrkarte gekauft.“ Daraufhin zog er seine Monatskarte heraus und erklärte mir, dass auch er für seine Fahrten bezahlt. Dann zeigte er auf meinen Sohn und sagte, er habe auch Kinder. Für die mache er die Musik in der S-Bahn. Und ich sei nun mal ein Rassist, weil ich ihm das Musizieren verbieten wolle. Wir trennten uns ohne uns geeinigt zu haben.

Ich überlegte später, ob ich den Mann darüber hätte erklären sollen, was Rassismus ist. Aber darum geht es wahrscheinlich nicht. Auf seine Art wollte er mir vermutlich klarmachen, dass er hier nur für seine Familie arbeitet und ich ihm das nicht verbieten soll. Ich gehe auch für meine Familie arbeiten. Deshalb glaube ich, der Mann hätte mich besser überzeugt, wenn er gesagt hätte, ich sei ein Spießer. Denn ein Rassist bin ich nicht und ein Spießer will ich nicht sein.

 

2 Gedanken zu „Was hat Musik mit Rassismus zu tun?

  1. Karin schreibt:

    immerhin hat er einen punkt gefunden der schmerzlich für dich ist. musik hat vielleicht mehr mit schmerz als allem anderen zu tun…?
    und besteht rassismus aus etwas anderem als schmerz ?

    1. Ich denke Rassismus besteht vor allem aus Angst. Und Du hast Recht: er hat einen schmerzlichen Punkt getroffen. Die Begegnung hat mich noch lange beschäftigt. Ich will doch niemanden diskriminieren, ich will doch nur meine Ruhe. Dachte ich.

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